Psychologie des Energie-Prosumers

Bild: Tesla Motors (Tesla Energy) [CC BY 4.0], via Wikimedia Commons

Bild: Tesla Motors (Tesla Energy) [CC BY 4.0], via Wikimedia Commons

Aufgrund der äusserst grosszügig ausgestatteten kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) hatten Betreiber von Photovoltaikanlagen bis vor kurzem einen starken Anreiz, den von ihnen produzierten Strom vollständig ins Netz einzuspeisen. Mit der überlangen Warteliste bei der KEV und der Schaffung einer Einmalvergütung für neue PV-Anlagen hat sich das geändert. Es lohnt sich, den produzierten Strom selbst zu verbrauchen, weil dadurch in erheblichem Mass die Kosten für die Netznutzung reduziert werden können. Mit einer Batterie wie dem Tesla Powerwall (z.B. 7 kWh, ca. USD 3'000) kann die Unabhängigkeit vom Netz nochmals gesteigert werden. Vollständige Autarkie ist aber noch nicht erreichbar: Der Unabhängigkeitsgrad bewegt sich im Duchschnitt über das Jahr bei ca. 60-80% (anbei unser Arbeitspapier dazu). Dennoch steht das Eigenverbrauchsmodell mit Batterie derzeit bei Proponenten der "Energiewende" hoch im Kurs, während die Verteilnetzbetreiber befürchten, dass ihnen die Basis für die Finanzierung des Verteilnetzes wegbricht. Der von den Eigenverbrauchern mit Batterie (neudeutsch "Prosumers") bezahlte Netzpreis entspricht nämlich bei weitem nicht den Kosten, welche diese verursachen. Interessant sind für mich aber vor allem die Implikationen für das Weltbild, dem die Prosumer anhängen müssen.

Das elektrische Verteilnetz ist für mich seit jeher Ausdruck einer gemeinsamen Anstrengung. Es steht für die Leistungsfähigkeit des Kollektivs, für eine breit getragene Solidarität auch mit den sozial Schwächeren, für eine durch den Staat erbrachte, leistungsfähige Grundversorgung. Demgegenüber steht der nahezu autarke Haushalt mit Batterie für Individualismus, für die Ablehnung eines gemeinsamen Efforts und - ein gutes Stück weit - für Egoismus. Vor diesem Hintergrund ist es irritierend, dass die Eigenverbraucher zu einem Symbol der Energiewende aufsteigen konnten und im Parlament vor allem von einer Mitte-Links Allianz verteidigt werden. Auf der anderen Seite erstaunen auch die Rechtsparteien, die sich nun für die Interessen der meist staatlich kontrollierten Verteilnetzbetrieber einsetzen. Das in sich widersprüchliche Weltbild ist kaum zu kitten: Sind die Prosumers allenfalls in Bezug auf Energie mehr auf ihr Individualinteresse eingestellt als in sonstigen politischen Fragen?

St.Gallen, 27. November 2015