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Foto: Crossway Bible Church

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What would Jesus Do? #ES2050

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"What would Jesus do?" (W.W.J.D.) ist ein christlicher Slogan. Die Träger der entsprechenden Armbändchen wollen sich in jeder Situation hinterfragen, wie Christus an ihrer Stelle handeln würde. In komplexen Lebensfragen mögen jedoch Antworten nicht einfach zu finden sein, und da fragt man am Besten einen Bischof, beispielsweise Felix Gmür: "Die Energiestrategie bewahrt die Schöpfung", sagt Bischof Gmür in einem Interview mit dem Blick, und sei deshalb zu befürworten. Ist die Zustimmung zur Energiestrategie also ein Gebot christlichen Glaubens? Dies so herzuleiten scheint doch arg schwierig.

Man mag Bischof Gmür ohne viel nachzudenken recht geben darin, dass die Bewahrung der Schöpfung ein solches christliches Gebot darstellt. Wege dahin gibt es jedoch viele. Die Bibel äussert sich nicht dazu, wie die Menschheit eine nachhaltige Energiezukunft erreichen könnte. Mit guten Gründen kann man den Bau z.B. von Windrädern als einen richtigen Schritt in diese Richtung ansehen, unter Inkaufnahme der je 20,7 jährlichen Vogelopfer bei jeder der geplanten 800 Anlagen. Mit ebenso guten Gründen lässt sich die Auffassung vertreten, Atomkraftwerke würden dem Klimaschutz besser dienen, unter Inkaufnahme des kleinen aber katastrophalen Unfallrisikos. Der Entscheid für den einzuschlagenden Weg ist also keine Glaubensfrage, sondern eine Wertfrage. Wertfragen können jedoch unterschiedlich beantwortet werden, ohne dass sich die Menschen hierbei gleich versündigen.

In jüngerer Zeit äussert sich die Kirche häufiger zu wirtschaftspolitischen Fragen, leider aber in einer Weise, die ideologisch verbrämt erscheint und von erstaunlicher Unkenntnis der einschlägigen empirischen und theoretischen Grundlagen zeugt. Offenbar geprägt von persönlichen Erfahrungen, die nicht in einem marktwirtschaftlichen Umfeld entstanden sein können, schreibt der Papst (Evangelii gaudium, S. 51): "Diese Wirtschaft tötet." Auch engagieren sich die Staatskirchen direkt und indirekt für die relativ verantwortungslose Konzernverantwortungsinitiative (siehe zum einfältig-naiven Weltbild der Initianten schon früher hier). Ob diese Suche nach neuen Themenfeldern viele Schäfchen in die leeren Kirchen zurückbringen wird, bezweifle ich.

St.Gallen, 21. April 2017

Posted in Energie, Infrastrukturrecht and tagged with Energierecht, Erneuerbare Energien.

April 21, 2017 by Peter Hettich.
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Selbstwahrnehmungen und Falschwahrnehmungen in der Energiepolitik

Gekürzte Fassung meines heutigen Referats an der Generalversammlung der usic:

Sehr geehrte Damen und Herren

Zunächst möchte ich mich herzlich für die Einladung zu diesem Gastreferat bedanken. Ich freue mich sehr, Ihnen kurz meine Gedanken zur heutigen Energiepolitik der Schweiz näher bringen zu dürfen. Meine Freude, hier stehen zu dürfen, ist umso grösser, weil ich die letzten zwei Wochen aufgrund einer Lungenentzündung krankgeschrieben war und erst seit ein paar Tagen wieder im Einsatz stehe. Dass ich solange ausgefallen bin, habe ich mir selber eingebrockt: Über fast eine Woche habe ich mir trotz anhaltend hohem Fieber eingeredet, lediglich eine hartnäckige Grippe erwischt zu haben. Ich dachte jeden Tag, mein Zustand müsse sich nun spätestens am nächsten Morgen bessern, und bin daher viel zu spät zum Arzt gegangen.

Gutmenschen und Ewiggestrige

Sie werden sich fragen: Wieso erzählt der uns jetzt das? Der Grund dafür ist, dass ich nun eindrücklich selbst erlebt habe, wie machtvoll eine persönliche Wahrnehmung sein kann, wenn man sich nur fest einredet, dass dieses selbst geschaffene Bild der Realität entspricht. Dieses eingeredete Bild der Realität ist umso dominanter, je weniger man von alternativen Wirklichkeiten hören möchte. Gerade mit unangenehmen Nachrichten möchte man sich nicht auseinandersetzen; man verdrängt sie lieber. Die energiepolitische Diskussion in der Schweiz leidet aus meiner Sicht an einem ähnlichen Problem. Manche Befürworter wie auch viele Gegner der Energiestrategie 2050 klammern sich an ein Bild der Wirklichkeit, dass sich in Diskussionen mit Gleichgesinnten immer mehr verfestigt hat und kaum noch kritisch hinterfragt wird. Psychologen reden vom "False-Consensus Effekt" und von "Echokammern". Ich möchte mit Ihnen vor allem darüber reden: Über Selbstwahrnehmungen und Falschwahrnehmungen in verschiedenen Bereichen der Energiepolitik.

Wer sich ein Bild der Wirklichkeit einmal zurechtgezimmert hat, der zeigt sich meist erstaunlich immun gegenüber gegenläufigen Hinweisen auf die wirkliche Welt draussen. Auch das ist ein psychologisches Phänomen, der "confirmation bias". Das feste Klammern an die konstruierte Realität verhindert natürlich auch, dass wir verstehen könnten, wieso unser Gegenüber eine andere Auffassung vertritt. Wir wollen den politischen Gegner gar nicht verstehen, obwohl sich dessen Ansichten von den unsrigen vielleicht gar nicht so sehr unterscheiden. So scheint es mir, dass wir in den verschiedenen politischen Grabenkämpfen der jüngeren Zeit irgendwie die Fähigkeit verloren haben, uns über unsere verschiedenen Bilder der Wirklichkeit sowie unsere unterschiedlichen Wahrnehmungen der Zukunft zu verständigen. Das typisch schweizerische Konsensmodell tritt in den Hintergrund; die politische Kultur ist mehr und mehr geprägt von Konflikt. Nur mit etwas aufrichtigem Verständnis für abweichende Meinungen wäre es aber möglich, breit abgestützte und damit langfristig tragfähige Lösungen, z.B. für eine nachhaltige Energiezukunft, zu entwickeln. Stattdessen teilt sich die Welt heute auf in die Gutmenschen und die Ewiggestrigen. Schnell einmal reden wir nur noch von den Guten und von den Bösen. Die Teilung in Freund und Feind macht es dann sehr einfach: Wer seinem Gegenüber Dummheit oder fehlende Moral unterstellt, der muss sich auch nicht mit dessen Weltbild auseinandersetzen. Diese Moralisierung des politischen Diskurses ist ein bedeutender Verlust für unsere politische Kultur.

Nachhaltige Energiezukunft

In Gesprächen in meiner eigenen Echokammer, mit der Familie, mit Freunden und mit Kollegen, spüre ich einen breiten Konsens darin, die Energiezukunft nachhaltig zu gestalten. Nachhaltig bedeutet gemeinläufig, die Umwelt nicht über ihre Erneuerungsfähigkeit zu belasten. Nachhaltig bedeutet, nichterneuerbare Ressourcen zu schonen. Nachhaltig bedeutet aber auch - und das geht oft vergessen -, die zukünftige Entwicklung sozialverträglich zu gestalten. Nachhaltigkeit bedeutet schliesslich, die wirtschaftliche Entwicklung nicht übermässig zu hemmen: Nur in einer leistungsfähigen Wirtschaft ist auch ein starker Umweltschutz finanzierbar. Unser Verfassungsgeber hat diese Idee der Nachhaltigkeit sehr früh in seinen energiepolitischen Grundsätzen aufgenommen: Danach setzen sich Bund und Kantone ein für "eine ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung". In der Bewältigung dieses sogenannten "Energie Trilemmas" zwischen Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit belegt die Schweiz heute einen Spitzenplatz. Unser Energiesystem ist eines, das funktioniert. In funktionierende komplexe Systeme soll man besser nur mit Vorsicht eingreifen.

Wenn ich mich zwischendurch mal auf Twitter – ausserhalb meiner eigenen Echokammer – mit anderen Personen austausche, dann treffe ich häufig auf ein Nachhaltigkeitsverständnis, das vor allem den Umweltschutz und die Idee der Suffizienz in den Vordergrund rückt. "Suffizienz" zielt jedoch auf eine Änderung des Verhaltens in Form einer generellen Einschränkung des Verbrauchs an Energie, Wohnfläche, Material und sonstigen Ressourcen. Eine Form der Suffizienz ist die "2000W-Gesellschaft". Sie optimiert nicht innerhalb der drei Nachhaltigkeitsdimensionen, sondern maximiert den Umweltschutz. Suffizienz ist deshalb nicht ohne Verzicht erreichbar: Weniger Fleisch essen, mehr zu Fuss gehen, Flugreisen möglichst vermeiden, Occasion-Sachen kaufen, weniger lange duschen, etc. Wenn die Befürworter der Energiestrategie auf ihren Twitter-Bildern den Thermostat der Heizung auf 17° C Raumtemperatur einstellen, dann ist das eben nicht Effizienz, sondern Suffizienz. Wenn ich dann sehe, dass das Parlament für die Schweizer Bevölkerung sehr ambitionierte Verbrauchsrichtwerte setzt, dann frage ich mich natürlich, in welche Richtung die Reise gehen soll. Über das Ziel unserer Anstrengungen scheinen jedenfalls völlig unterschiedliche Auffassungen zu bestehen: Geht es um rationelle, effiziente Energienutzung? Geht es also die Beibehaltung unseres Lebensstandards bei geringerem Ressourcenverbrauchs? Gegen so verstandene Effizienz kann ja eigentlich niemand sein! Oder geht es um das Verzichten um des Verzichtens Willen? Solch rigoroses Sparen würde uns in eine ganz anders gestaltete Gesellschaft führen!

Ich persönlich habe grosse Mühe, mich mit der Verzichtsgesellschaft anzufreunden. Auch stehe ich hier nicht ganz alleine: Wenn die Schweizerinnen und Schweizer gerne genügsamer leben wollten, wäre das wuchtige Nein zur Volksinitiative Grüne Wirtschaft wohl nur schwer erklärbar. Trotz dieses deutlichen Abstimmungsresultats werden jedoch weiter Aktionspläne zur grünen Wirtschaft entwickelt, und auch EnergieSchweiz fördert finanziell das Verständnis für die Verzichtsgesellschaft. Hier zeigt sich wieder deutlich das Problem der Echokammern: Wenn man auf einer Mission ist und auf der Seite des Guten steht, dann ist ein ablehnender Volksentscheid einfach nur störend, aber ansonsten nicht weiter zu beachten. Beim Thema Suffizienz scheint der Glaube an die Mission besonders ausgeprägt: Kürzlich war ich an den Aarauer Demokratietagen zur Medienpolitik und da ist ein älterer Herr aufgestanden und hat gefordert, die Medien sollten die Jungen zu mehr Verzicht erziehen. Ist es nicht ganz besonders unverschämt, wenn jemand, der sein ganzes Leben Ressourcen verschwendet hat, von den Jüngeren nun Verzicht einfordert? Mittlerweile gehen mir die Weltuntergangspropheten wirklich gehörig auf den Geist. Ich persönlich glaube jedenfalls fest daran, dass wir unsere Energieprobleme nur durch Innovation lösen können, und dass Sie als Ingenieure dazu einen wichtigen Beitrag leisten! Nur die Rahmenbedingungen müssen dafür natürlich stimmen! Die Verzichtsgesellschaft bringt jedenfalls keine Innovation hervor.

Energiewelt 2050

Energie und vor allem Elektrizität ist heute ein Gut, das allgemein zugänglich, günstig erhältlich und in praktisch unbeschränkten Mengen verfügbar ist. Das heisst freilich nicht, dass das Gesamtsystem nicht noch weiter optimiert werden könnte. Die Zukunftsvision, die im Zusammenhang mit der Energiewelt des Jahres 2050 häufig genannt wird, ist das sogenannte "Smart Grid". Wie bei den "Smart Cities" handelt es sich hier um ein aktuelles Buzzword, von dem niemand so recht weiss, was es eigentlich bedeutet. Klar aber ist, dass es sich beim Smart Grid um ein hochgradig integriertes System handelt, bei dem die einzelnen Komponenten feinsäuberlich aufeinander abgestimmt sind. Wir haben zentrale und dezentrale Erzeuger, zentrale und dezentrale Speicher, sowie grosse und kleine Verbraucher, die teilweise auch selbst wieder produzieren. Die Vision eines Smart Grid ist technisch herausfordernd und vermutlich einer der wichtigsten Gründe, wieso sich Ihr Branchenverband hinter die Energiestrategie 2050 gestellt hat. Die unternehmerischen Chancen, die sich im Smart Grid gerade auch für kleinere agile Marktakteure ergeben, sind offensichtlich sowohl intellektuell wie auch wirtschaftlich verlockend.

Ist diese Vision eines Smart Grid kompatibel mit dem weit verbreiteten Gedanken, dass wir nach dem Auslaufen der Subventionen des Energiegesetzes einen funktionierenden, liberalisierten Markt haben? Ich habe da grosse Zweifel: Markt heisst dezentrale Koordination, möglichst weitgehende Entflechtung der Industrie, sowie autonom und im Eigeninteresse handelnde Akteure. Diese Grundidee des liberalisierten Energiemarktes liegt heute immer noch dem Stromversorgungsgesetz zugrunde. Das dort vorgesehene Marktmodell negiert völlig die vielfältigen Synergien, die in der Elektrizitätsindustrie zwischen Netz, Erzeugern, Speichern und Verbrauchern bestehen. Beispielsweise ist der Netzausbau in vielen Fällen mit dem Ausbau von Erzeugungskapazitäten substituierbar. Der Koordinationsbedarf steigt in einem Smart Grid nochmals an, wenn z.B. für einen Batteriespeicher festgelegt werden müsste, ob dieser gerade systemdienlich, netzdienlich, oder zur Optimierung des Eigenverbrauchs betrieben wird. Je nachdem hätte dies unterschiedliche Kosten- und Entschädigungsfolgen, so bspw. beim Netznutzungsentgelt. Was mir auch völlig unklar ist, wie man freie Endkunden in einem liberalisierten Markt daran hindern sollte, einfach Dreckstrom aus dem Ausland einzukaufen. Ich glaube Sie sehen die Komplexität und die Schwierigkeit der Verwirklichung eines echten Marktes. Jedoch findet die wichtige Verständigung darüber, wie das zukünftige Smart Grid gestaltet und koordiniert werden soll, nach meiner Wahrnehmung überhaupt nicht statt. Die Diskussion um zukünftige Marktmodelle scheint losgelöst von der Energiestrategie 2050 geführt zu werden. Auch hier stehen wohl unvereinbare Zukunftsvisionen im Konflikt!

Energieaussenpolitik als Gretchenfrage

Sie werden nun zu Recht einwenden, dass der Vorschlag des Bundesrates zur vollständigen Marktöffnung in der Vernehmlassung auf verheerenden Widerstand gestossen ist. Man kann daher durchaus behaupten, die Idee des vollliberalisierten Marktes sei innenpolitisch tot. Jedoch ist die vollständige Marktöffnung nach wie vor eine von mehreren Voraussetzungen dafür, dass die EU mit der Schweiz ein Stromabkommen schliesst. Wenn wir also einen effizienten grenzüberschreitenden Elektrizitätsaustausch mit unseren Nachbarländern haben wollen, dann müssen wir unseren Elektrizitätsmarkt liberalisieren.

Brauchen wir denn überhaupt eine Zusammenarbeit mit der EU in diesem Bereich? Ich würde hier sogar so weit gehen, dass dies allenfalls einer der Punkte ist, an dem sich Erfolg und Misserfolg der Energiestrategie 2050 entscheiden könnten. Mittlerweile ist der grenzüberschreitende Elektrizitätshandel in fast der gesamten EU mittels der Marktkopplung integriert. Die Schweizer Energieversorger sind im Elektrizitätshandel zwar nicht physisch abgekoppelt, doch kämpfen sie mit sichtlich ungleich langen Spiessen. Mehr noch hat die EU begonnen, in ihren Netzkodizes Klauseln einzuarbeiten, welche die Schweiz explizit vom Elektrizitätsbinnenmarkt ausschliessen. Dies gilt seit kurzem auch für die Regelenergiemärkte, welche für die Schweizer Wasserkraftwerksbetreiber sehr lukrativ wären. Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, die EU verstosse mit diesen Massnahmen gegen das Freihandelsabkommen von 1972. Ob der Verstoss im gemischten Ausschuss von der Schweiz zur Sprache gebracht wird, ist mir unbekannt. Jedenfalls versteht man vor dem Hintergrund dieser Ausschlussklauseln die Aussage von ElCom-Präsident Carlo Schmid-Sutter, dass "Eiszeit" mit der EU herrsche.

Neben diesen wirtschaftlichen Faktoren ist es allgemein sehr unwahrscheinlich, dass die Massnahmen zum Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugungsanlagen ausreichend sein werden, um die wegfallenden Atomkraftwerke zu kompensieren. Das zeigt sich an obiger Grafik aus der Botschaft des Bundesrates, die quasi die Planvorstellung für die Schweiz bis 2050 darstellt. Sie sehen darin, dass der Anteil der Wasserkraft an sich gehalten und weiter ausgebaut werden sollte. Momentan ist die Lage der Wasserkraft jedoch desolat und niemand will investieren (trotz des nun positiven Grimsel-Entscheids). Daran wird auch die vom Parlament beschlossene Marktprämie nichts ändern. Beim Ausbau der neuen Erneuerbaren hapert es bei der Geothermie, aber vor allem auch bei der Windkraft. Zum jetzigen Zeitpunkt stehen an 37 Standorten der Schweiz Windkraftanlagen; zur Erschliessung des geplanten Potenzials nötig wären 800-1'000 Anlagen. Enthusiasten reden gar von 1’800 Windrädern. Ist es realistisch, sich an diese Zahl zu klammern? Der Widerstand bspw. der Naturschutzverbände wird kaum abnehmen, jetzt wo das BFE von 20,7 Vogelopfern pro Jahr und Anlage spricht. Kommt hinzu, dass die idealen Windstandorte gleichzeitig meist auch die landschaftlich schönsten sind. Es bleiben die Gaskombikraftwerke, die der Bundesrat zum Augleich der schwankenden Einspeisung der neuen Erneuerbaren eingeplant hat. Nur wer soll in solche Anlagen investieren, solange die Marktpreise so tief sind und überdies die Pflicht zur vollen CO2-Kompensation besteht. Vor dem Hintergrund, dass der ursprüngliche Plan nicht realisert werden kann, scheint mir offensichtlich, dass die Versorgungssicherheit nicht ohne signifikante Importe aus dem EU-Raum gewährleistet werden kann.

Das Verhältnis der Schweiz zur EU wurde jedoch selten so kontrovers wie heute diskutiert. Wir stehen an einem Scheideweg: Auf der einen Seite diejenigen, die einer weiteren Integration positiv gegenüberstehen und auch den Abschluss eines Rahmenabkommens befürworten. In diesem Fall stünde mit Ausnahme der Marktöffnung auch einer weiteren Integration der Schweiz in den Elektrizitätsbinnenmarkt wenig entgegen. Auf der anderen Seite gibt es jedoch nicht unmassgebliche Kräfte, die eine weitere Anbindung an die EU grundsätzlich ablehnen. Wie zum heutigen Zeitpunkt eine Abstimmung über ein Rahmenabkommen ausgehen würde, ist für mich völlig unklar. Durchaus überraschend hat sogar Ständerat Ruedi Noser am 21. März 2017 in der NZZ geschrieben: "Ein institutionelles Abkommen, wie es im Moment verhandelt wird, ist chancenlos." Bei solchen Aussagen scheint es mir dringend nötig, dass der Bundesrat einen Plan B zu entwickeln würde. Ein solcher mag existieren, doch ist in der Öffentlichkeit dazu nichts bekannt. Sehen wir hier allenfalls eine Echokammer des Bundesrates, in der ein Scheitern unserer Beziehungen mit der EU schlicht nicht vorkommt?

Ausblick: Strommarkt 2020

Am 21. Mai 2017 werden wir über eine Energiestrategie abstimmen, die in vielerlei Hinsicht unvollkommen ist. Dass die Energiestrategie vor allem Fragen der Versorgungssicherheit vernachlässigt, ist allgemein anerkannt. Die ElCom hat nun mehrfach angemahnt, sich nicht auf eine Importstrategie zu verlassen und der Eigenproduktion im Inland mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Auch das Parlament verlangt vom Bundesrat Vorschläge zu neuen Marktmodellen, welche die Versorgungssicherheit stärker berücksichtigen. Zum Jahreswechsel hat das Bundesamt für Energie dazu eine Auslegeordnung publiziert. Dieses Papier mit dem Namen "Strommarkt nach 2020" zeigt überraschend offen auf, in welche Richtung die neue Regulierung gehen könnte. Die Planungs- und Rechtssicherheit, die ihr Verband in einem Positionspapier zu Recht einverlangt hat, wird sich also auf absehbare Zeit nicht einstellen. Vielmehr befindet sich die Energiewirtschaft in einem tiefgreifenden Wandel, der selbst bei einem Nein zur Energiestrategie weitere politische Eingriffe in dieser Industrie nötig machen wird.

Trotz der gewichtigen Nachteile der Energiestrategie denke ich, dass das Volk der Vorlage zustimmen wird. Damit wird der Netzzuschlag planmässig Anfang 2019 auf 2,3 Rappen/kWh steigen, wodurch ein Fördervolumen von jährlich 1,3 Milliarden Franken erzeugt wird. Ein durchschnittlicher Haushalt wird dadurch allein im Elektrizitätsbereich eine Steuerlast von etwas mehr als 100 Franken tragen, rund 40 Franken mehr als heute. In diesem Betrag sind die langfristigen Kosten des Umbaus unseres Energiesystems nicht enthalten. Unter meinen Forschungskollegen ist weitgehend anerkannt, dass dieses Fördervolumen weder zur Rettung der Wasserkraft noch zur Erreichung der Ausbauziele für die erneuerbare Energie ausreichen wird. Anders als allgemein erwartet, werden meiner Meinung nach die Subventionen daher nicht auslaufen, sondern weiter fliessen. Ein wirtschaftspolitisches Ziel könnte dann sein, dass diese Subventionen zukünftig sowohl dem Ausbau der Erneuerbaren als auch der Versorgungssicherheit dienen. Es wäre doch irgendwie pervers, wenn die Energiewende als erstes Opfer die Wasserkraft forderte, und wir verstärkt Kohlestrom aus Deutschland importieren würden. Möglich wäre der Erhalt der schweizerischen Erzeugungskapazität etwa in einem Quotenmodell, wie es an sich schon im heutigen Energiegesetz steht. Das Preisschild für dieses Marktmodell zeigt hier die stolze Summe von 1-1,5 Milliarden Franken, die wir jährlich aufwenden müssen.

Ich schliesse damit mit einem etwas demoralisierenden Ergebnis, das vor allem durch meine gesamtwirtschaftliche Optik bedingt ist. Zweifellos bieten die sich wandelnden energiepolitischen Rahmenbedingungen auch Chancen, die die dynamischen Mitglieder ihres Verbandes sicher zu nutzen wissen. Und im Wissen darum, dass die Zukunft eigentlich immer anders kommt als man denkt und es nur besser werden kann, bedanke ich mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

Kartause Ittingen, 7. April 2017

Posted in Energie, Infrastrukturrecht, Regulierung and tagged with Energieeffizienz, Erneuerbare Energien, Energiebinnenmarkt, Energierecht, Europa, Grundversorgung, Gesetzgebung, Innovation.

April 7, 2017 by Peter Hettich.
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Foto: Roland Fischer, via Wikimedia Commons

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Weit weg vom «Ogi-Ei»: EnergieSchweiz produziert heute Kinderbücher

Foto: Roland Fischer, via Wikimedia Commons

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Um konkrete Tipps zum Energiesparen geht es bei EnergieSchweiz nur noch am Rande. Das Programm entfaltet ein auswucherndes Eigenleben, welchem das Bewusstsein für einen zielangemessenen Mitteleinsatz fehlt. EnergieSchweiz sieht sich als politischer Akteur, wie ein jüngst erschienenes Schulbuch zu den Vorzügen der «Energiestrategie 2050» deutlich zeigt. Nachfolgend die ausführliche Fassung meines Gastkommentars in der Schweiz am Wochenende vom 18. März 2017:

Ein staatlich finanziertes Globi-Buch

Globi verkörpert die Schweiz und ihre Bewohner wie keine andere Kinderbuchfigur. Vor allem zeigt der «gefiederte Nationalheld» unseren Kindern, wieso sie auf die von ihren Eltern mitgeprägte Schweiz stolz sein dürfen: Globi erklärt die Post, das rote Kreuz und die ETH. Dass Globi in seinem 85. Lebensjahr Energiefragen erkundet, ist einleuchtend. «Globi und die Energie» ist Ende letzten Jahres erschienen, richtet sich an Erstklässler und befasst sich mit der «Energiewende» bzw. mit der «Energiestrategie 2050». Realisiert wurde das Buch fast ausschliesslich mit Geldern staatlicher und staatsnaher Organisationen. Zum Gesamtbudget des Projekts von CHF 145'000 hat EnergieSchweiz CHF 50'000 beigetragen und auch das Vorwort verfasst. Anders als sonst spricht Globi zu uns also nicht als privater Vogel, sondern als Sprachrohr des Staates.

«Globi und die Energie» ist keine eigentliche Propaganda (so hier): Die Autoren stellen die komplexe «Energiewende» bzw. «Energiestrategie 2050» nicht nur einseitig dar. Anders als der frühere Amtsdirektor des BFE, der sich in einer Tageszeitung von der teuren deutschen «Energiewende» distanzierte, gebrauchen die Autoren die Energiestrategie als Synonym. Ihr Buch unterstützt die am 21. Mai 2017 zur Abstimmung kommende «Energiestrategie 2050» in jedem einzelnen Aspekt. Deckungsgleich mit den Zielen von EnergieSchweiz erläutern die Autoren ihre Zukunftsvision der «Suffizienz». Altersgerechter wäre wohl der Begriff Verzichtsgesellschaft: So sollen wir «Flugreisen möglichst vermeiden» und «weniger Fleisch essen». Insgesamt gibt Globi den gesellschaftlich nächsten Entwicklungsschritt klar vor: Die Zukunft ist erneuerbar. Die Energiewende muss den Kindern entsprechend als «alternativlos» erscheinen, zumal Globi auch keine Alternativen aufzeigt. Im Gegensatz dazu ist es selbst dem Branchenverband VSE gelungen, die ungewisse Energiezukunft in vier verschiedenen «Energiewelten» vereinfacht einzufangen.

Einseitige Darstellungen und das Weglassen von Unbequemem

Natürlich ist auch der vom Parlament beschlossene «Atomausstieg» positiv bewertet. Dieser hat wenig mit dem im Buch dargestellten Klimawandel zu tun, sondern mit einer veränderten Risikowahrnehmung. So bekommt Globi Angst, als sein Dosimeter nach Besuch eines Kernkraftwerks eine Strahlendosis von 25 Mikrosivert (μSv) anzeigt. Bei einem Schulbuch ist hier vor allem zu beklagen, dass diese Zahlenangabe nicht in einen Kontext gesetzt wird. Gemäss Bundesamt für Gesundheit beträgt allein schon die natürliche Strahlenbelastung durch Radon 3'200 μSv/Jahr. Nach dem Verzehr einer einzelnen Paranuss ist Globi's Reaktorbesuch vernachlässigbar. Andernorts nimmt es Globi nicht so genau: So berichtet das BFE von 20,7 Vogelopfern pro Windenergieanlage und Jahr. Bei den von Globi anvisierten 1'800 Windturbinen führt dies jährlich zu zehntausenden toten Vögeln, was das Buch unterschlägt. Dass sich die erfolgreichste Schweizer Kinderbuch-Figur tendenziös für die Energiestrategie 2050 einsetzt, befremdet natürlich Skeptiker des so beworbenen politischen Projekts. Freilich dürfen die Globi-Verehrer auch nicht vergessen, dass der Papageienmensch überhaupt erst als Werbefigur für eine Warenhauskette das Licht der Welt erblickte. Einen Anspruch der Schweizer auf einen kommerzfreien oder politisch neutralen Globi gibt es nicht.

Finanziert EnergieSchweiz politische Werbung?

Inhaltlich haben die von EnergieSchweiz unterstützten Programme wenig gemeinsam mit dem energieeffizienten Eierkochen, das alt Bundesrat Adolf Ogi im Oktober 1988 in einem Fernsehspot demonstrierte. EnergieSchweiz ist heute als Marke mit Schutz für 17 Warenklassen eingetragen, von Taschenmessern, Spielzeug und Schönheitspflege bis hin zu Finanzdienstleistungen und Rechtsberatung. Im letzten Jahr sollte die Imagewerbung «Wir bauen Energiezukunft» die Bauwirtschaft bei der Rekrutierung neuer Fachkräfte unterstützen und die Nutzung bestehender Weiterbildungsangebote verstärken. Gemäss internen Unterlagen sei aber das «Schaffen von polit-gesellschaftlicher Akzeptanz für die Energiestrategie 2050» das Ziel der Kampagne. Auch konnten Besucher der «Energy Challenge» in neun Energiestädten Strom mit Velos erzeugen, um in Bern ein «energieneutrales Konzert» des «Energy Challenge Hauptbotschafters» Stress zu ermöglichen. Jährlich stehen dem Programm CHF 50 Mio. u.a. für Kampagnen wie diese zur Verfügung, auch für Fernsehspots zur Hauptsendezeit. Dass diese Imagewerbung politische Natur hat und darum dem Staat verboten ist, ist nur noch schwer von der Hand zu weisen.

Politische Diskussion um Energiestrategie wird mit Kindern geführt

Mit ihrem subventionierten Globi-Buch möchten die Autoren «Schülerinnen und Schülern die nachhaltige Energienutzung verständlich» machen und diese auf die «Herausforderungen der Energiezukunft» vorbereiten. Nach ihrer Ansicht könne das Buch «in der Volksschule gut in den Unterricht eingebaut werden». Auch EnergieSchweiz möchte das Thema an den Volksschulen stärken: Dort werden die «Lehrkräfte der Volksschule als wichtige Multiplikatoren» angesehen, die die «Kinder und Jugendlichen hinsichtlich energiebewusstem Verhalten und Auswirkungen von übermässigem Energieverbrauch» frühzeitig sensibilisieren sollen. Die Schweizerische Akademie der Naturwissenschaften, nicht aber EnergieSchweiz, vertreibt das Buch denn auch als Schulmaterial. So müssen Eltern zur Kenntnis nehmen, dass die politische Diskussion um die Energiestrategie auch mit ihren Kindern geführt wird.

Mit seiner Informationstätigkeit will der Bund «das auf Einsicht beruhende freiwillige Handeln aller Kreise» stärken. Bei achtjährigen Kindern fördert Globi freilich eher passive «Einsicht» als aktives «Handeln». Ein Erstklässler ist hinsichtlich seines ökologischen Fussabdruckes fremdbestimmt. Vor diesem Hintergrund bleibt unklar, was das BFE mit der Ansprache von kleinen Kindern erreichen möchte? Wurde hier allenfalls der Lehrplan 21 mit den «Preussischen Regulativen für das Volksschul‑, Präparanden- und Seminarwesen» von 1854 verwechselt? Libertarier werden an dieser Stelle freilich einwerfen, dass die Volksschule ohnehin nie einen anderen Zweck als das Heranziehen willfähriger Untertanen hatte. Selbst vor diesem Hintergrund würden dem Bund jedoch die Kompetenzen zur Produktion von Lehrmitteln fehlen.

Keine Subventionen für politische Kinderbücher

Bei solchen Projekten tut sich der Jurist sehr schwer mit den gesetzlichen Grundlagen, die es heute auch für die Ausrichtung von Subventionen braucht. Gemäss gesetzlichem Auftrag informiert das Bundesamt für Energie über die umweltverträgliche Energieversorgung, die Möglichkeiten einer rationellen Energienutzung sowie die Nutzung erneuerbarer Energien. Das BFE darf diese Massnahmen über EnergieSchweiz konzipieren und dabei private Organisationen bei ihrer Informations- und Beratungstätigkeit mit Subventionen unterstützen. Da sich diese Massnahmen nur auf eine Grundsatzgesetzgebungskompetenz stützen können, sind sie gemäss Bundesrat auf «konkrete Aktionen wie Veranstaltungen, Ausstellungen und Veröffentlichungen, sofern sie gesamtschweizerisch von Bedeutung sind», beschränkt. Dass auch Gelder für Kinderbücher in dieses Zielfeld fallen sollen, ist offensichtlich sehr unwahrscheinlich.

Implikationen für Reformen von EnergieSchweiz

Im Kontext hiesiger Verhältnisse bewegt sich EnergieSchweiz mit der Finanzierung eines politischen Kinderbuches derart weit ausserhalb des abgesteckten juristischen Terrains, dass sich verschiedenste verfassungsrechtliche Fragen in ganz neuen Konstellationen stellen. Natürlich führt die merkliche Zunahme der Behördenkommunikationen auf verschiedensten Kanälen zu einer stärkeren staatlichen Beeinflussung des Meinungsbildungsprozesses als auch schon. Zum Schutz der Meinungsbildungsfreiheit wäre daher generell – und nicht nur wie heute im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen – darauf zu achten, dass die demokratische Willensbildung effektiv den gesellschaftlichen und politischen Kräften vorbehalten bleibt. Ohne weiteres einleuchtend ist sodann, dass das gesellschaftliche Kräftespiel durch die Zusprache staatlicher Finanzmittel verändert wird. Konsequenterweise sollten dann aber Subventionen auch den Wettbewerb an Ideen und Meinungen nicht verzerren, und nicht wie bislang nur die (wirtschaftliche) Wettbewerbsneutralität wahren. Öffentlich finanzierte Publikationen, vor allem wenn sie sich an Kinder richten, sollten in erster Linie deren Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit den präsentierten Meinungen fördern, sodass sie sich ein eigenes Urteil bilden können. Dieses Ziel hat «Globi und die Energie» verfehlt.

Im Ergebnis legt EnergieSchweiz nicht nur die für das Programm einschlägigen gesetzlichen Grundlagen viel zu weit aus. Das Programm hat offensichtlich auch ein gutes Stück seinen staatspolitischen Kompass verloren. Sollten die übergeordneten Behörden oder der Gesetzgeber diesen Kompass neu justieren wollen, wäre auch mit Gewinn darüber nachzudenken, nach welchen normativen Gesichtspunkten Forschungs- und Fördergelder generell verteilt werden sollten.

St.Gallen, 24. März 2017

Posted in Energie, Wirtschaftsverfassung and tagged with Energierecht, Energieeffizienz, Erneuerbare Energien, Subventionen.

March 24, 2017 by Peter Hettich.
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