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"Federal Reserve" by Dan Smith, Licensed under CC BY-SA 2.5 via Wikimedia Commons

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Zinswende in den USA: Ein Weihnachtsgeschenk für die SNB

"Federal Reserve" by Dan Smith, Licensed under CC BY-SA 2.5 via Wikimedia Commons

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Die amerikanische Zentralbank hat vorgestern entschieden, den Leitzins ein kleines bisschen anzuheben. Zwar sind wir von normalen geldpolitischen Verhältnissen nach wie vor weit entfernt. Dennoch ist zu hoffen, dass mit diesem Schritt eine Trendwende eingeleitet, dass etwas Druck vom Franken (und der SNB) genommen wird, dass allgemein Licht am Ende des Tunnels sichtbar wird. Jubel ist jedoch nicht angebracht. Die europäische Zentralbank hält weiterhin ihren Kurs der geldpolitischen Lockerung. Anfang dieses Monats hat sie angekündigt, nun nicht mehr nur Schuldtitel von Nationalstaaten, sondern auch Anleihen von regionalen Gebietskörperschaften und von Gemeinden aufzukaufen. Der EZB gehen offensichtlich die Abnehmer für das viele Geld aus, das sie in die Märkte pumpt.

Im juristischen Schrifttum wird teilweise angenommen, dass die Notenbanken keine Unternehmen seien, die dem Gesamtinteresse möglicherweise entgegengesetzte sektorielle Interessen verfolgen könnten. Nach mittlerweile nun einigen Jahren der expansiven Geldpolitik darf aber die Frage gestellt werden, ob nicht einzelne Akteure mehr als andere von der lockeren Geldpolitik profitieren. Dies vor allem deswegen, weil sich Unternehmen der Realwirtschaft nicht bei der SNB refinanzieren können und der Transmissionsmechanismus (Kreditkanal) zumindest in Europa in seiner Funktion eingeschränkt erscheint. Mit anderen Worten kommt das viele zusätzliche Geld in der Realwirtschaft schlicht nicht an. Gleichzeitig müssen die Gläubiger (Kleinsparer, Pensionskassen) mit teilweise negativen Realzinsen leben. Dies führt zu massiver Umverteilung, die unter keinem Titel mehr legitimiert werden kann.

Schon in einem früheren Beitrag, Anfang dieses Jahres, wurde hier die Frage aufgeworfen, ob sich die EZB noch im Bereich der zulässigen Geldpolitik oder schon im Bereich der unzulässigen Wirtschaftspolitik bewegt. Mit dem weiteren Festhalten an einer expansiven Geldpolitik entfernt sich die EZB mehr und mehr von dem ihr übertragenen Mandat. Sie nimmt damit von den Mitgliedstaaten jedweden Reformdruck. Lange, so sagt das meist verlässliche Bauchgefühl, kann das nicht mehr gut gehen.

St.Gallen, 18. Dezember 2016

Posted in Finanzverfassung, Regulierung, Wirtschaftsverfassung and tagged with Geldpolitik, Finanzmarktrecht.

December 18, 2015 by Peter Hettich.
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Illustration: Corinne Bromundt, Copyright: Universität St.Gallen

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Energiepolitik ist nichts für Betonköpfe

Illustration: Corinne Bromundt, Copyright: Universität St.Gallen

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Die Arbeit an einer nachhaltigen Energiezukunft darf nicht den Ideologen überlassen werden. Die Verfassung verlangt nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ausreichende, breit gefächerte, sichere und wirtschaftliche Energieversorgung. Im Zentrum der politischen Diskussion muss daher das derzeit technisch Machbare stehen. Anbei meine letzte Kolumne für das Universitätsmagazin HSG Focus.

Haben Sie schon eine sachliche Diskussion über die Energiewende erlebt?

Der Begriff «Betonköpfe» gehört zum Standardvokabular in Diskussionen über Energiepolitik. Gemeint sind starrköpfige Menschen, die uneinsichtig auf ihren Ansichten beharren. Menschen, die die Zukunft nicht sehen wollen oder nicht sehen können – die nicht begreifen, dass sich die Welt geändert hat und dass sie sich ebenfalls ändern müssten. Der Ausdruck ist eine Ausrede, um sich nicht mit der Meinung anderer Leute auseinandersetzen zu müssen. Wer sich jedoch sachlichen Argumenten entzieht, indem er seinem Gegenüber Dummheit oder amoralisches Verhalten vorwirft, dem sollte man vielleicht etwas genauer auf die Finger schauen.

Das Thema Energie steht völlig zu Recht im Zentrum der aktuellen Ausgabe von «HSG Focus». An unserer Universität beschäftigen sich 45 Forscherinnen und Forscher an fünf Instituten sehr intensiv und aus verschiedenen Perspektiven mit Energie. Die sachlich-konstruktiven Diskussionen in diesem Rahmen zeigen mir vor allem: Was Enthusiasten und Skeptiker der Energiewende trennt, sind in erster Linie unterschiedliche Wahrnehmungen der Zukunft sowie unterschiedliche Einstellungen gegenüber Risiken und staatlicher Steuerung. Die einen mahnen: «Das machen wir erst, wenn 1. … 2. … 3. … gegeben sind!» Die anderen halten dagegen: «Das machen wir, obwohl 1. … 2. … 3. … noch nicht realisierbar sind.»

Es geht also um Wertentscheide, die jeder Mensch für sich treffen muss und die durchaus unterschiedlich ausfallen dürfen. Den Skeptikern der Energiestrategie kann daher nicht generell das Label «Betonköpfe» verpasst werden – jedenfalls solange nicht ehrlich versucht wurde, deren berechtigte Zweifel auszuräumen. Diskussionsscheue betonköpfige Ideologen finden sich leider auf allen Seiten des energiepolitischen Schützengrabens. Unter der Diskussionsverweigerung leidet vor allem die Suche nach sachgerechten Lösungen für eine nachhaltige Energiezukunft.

Einzelne Erfolge sollten den Blick auf die Rahmenbedingungen nicht verstellen

Die derzeit reichlich fliessenden Forschungsgelder im Energiebereich erhöhen den Druck zur öffentlichen Kommunikation von bahnbrechenden Resultaten. So werden wir mit Medienmitteilungen über effizientere Solarzellen, intelligentere Netze und preisgünstigere Batteriespeicher förmlich überschwemmt. Die vielen Bäume lassen den Blick auf den Wald aus den Augen verlieren. Der Wald, das ist ein komplexes Geflecht aus technisch-physikalischen Grenzen sowie nationalen und internationalen Rahmenbedingungen.

Die grosse Reform des Elektrizitätsmarktes im Jahr 2007 wurde vorgenommen, um diesem monopolistischen Bereich etwas Wettbewerb einzuhauchen. Die Liberalisierung (oder Re‑Regu­lierung) basierte auf einer in den Telekommunikationsmärkten erfolgreich getesteten ökonomischen Theorie: Eine Entbündelung von Netzanschlussleistung einerseits und Elektrizitätserzeugung und -versorgung andererseits soll zu Wettbewerb in den Märkten führen, die dem Netz vor- und nachgelagert sind. Leider hat der Gesetzgeber nicht bedacht, dass ökonomische Modelle nicht zwingend mit der realen Welt übereinstimmen. Die Telekommunikation unterscheidet sich in ganz wesentlichen Aspekten von den Elektrizitätsmärkten. So finden sich in der Telekommunikation parallele Netzinfrastrukturen, ganz im Gegensatz zu den Elektrizitätsmärkten. Zudem muss Elektrizität zeitgleich erzeugt und konsumiert werden, das Netz und die Produktion sind gegenseitig substituierbar und die Strukturen der Branche sind eng verflochten. Diese Faktoren lassen das gängige ökonomische Modell nicht als gute Grundlage für eine Regulierung erscheinen.

Die heutigen Rahmenbedingungen müssten an sich unter Aspekten des Regulierungsversagens diskutiert werden, werden aber nun durch die angestrebte «Energiewende» verkompliziert. Dabei scheinen sich die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen: So zitiert die bundesrätliche Botschaft für die gesamten Modellrechnungen zur Energiestrategie vornehmlich die Studie eines einzigen kommerziellen Anbieters. Dessen Resultate müssen freilich nicht falsch sein. Doch erscheinen damit die ökonomischen Grundlagen der Energiestrategie kaum als robust, und angesichts der realen Schwierigkeiten beim Ausbau von Windkraft, Wasserkraft und Geothermie auch kaum noch als aktuell. Nach den Beschlüssen des Ständerates vom 23. September 2015 zur Energiestrategie ist zudem mehr denn je unklar, wohin die Energiewende denn hinwenden soll: Ist das Ziel der «Atomausstieg», die Senkung der CO2-Emissionen, beides gleichzeitig oder gar nichts (mehr) davon?

Selbst wer als «Ziel» der Energiewende nur die gesetzlichen «Richtwerte» für die Elektrizitätsproduktion aus erneuerbaren Energien zum Massstab nimmt, wird sich fragen müssen, ob dieser Ausbau mit den dafür bereitgestellten finanziellen Mitteln überhaupt erreichbar ist. Skepsis ist angebracht, weshalb die zukünftige Stromlücke wohl einfach mit Importen geschlossen werden wird. Diese stammen aber entweder aus zweifelhaften (z.B. Kohle) oder dann aus hochsubventionierten Quellen (Solar und Wind). In anderen Konstellationen würden solch subventionierte Exporte, welche die Schweizer Wasserkraft in grosse Bedrängnis bringen, zu Recht mit welthandelsrechtlichen Retorsionsmassnahmen bekämpft. In der Schweiz antwortet die Politik auf diese wettbewerbsverzerrenden Subventionen lieber mit einer Ausweitung der eigenen Subventionsmaschine.

Nur schon etwas Jonglieren mit dem Taschenrechner zeigt: Da geht etwas ganz und gar nicht auf

Gemäss Verfassung soll die schweizerische Energieversorgung nicht nur umweltfreundlich, sondern auch ausreichend, breit gefächert, sicher und wirtschaftlich sein. Die Energiestrategie 2050 kann diese Ziele nicht gleichermassen zum Tragen bringen, was schon ein Blick auf die ganz rudimentärsten Kennzahlen zeigt.

Im August 2015 standen gemäss dem Erläuterungsbericht zum «Konzept Windenergie» in der Schweiz 34 grosse Windenergieanlagen mit einer Leistung von insgesamt 60 MW in Betrieb; diese Anlagen produzieren mehr als 100 GWh Strom pro Jahr. Daraus ergeben sich 1667 jährliche Volllaststunden; da das Jahr aber 8760 Stunden aufweist, stehen diese Windenergieanlagen offenbar an vier von fünf Tagen still. Ähnlich düster sieht es für Photovoltaikanlagen aus: So wird das grosse Solarkraftwerk auf dem Dach der AFG Arena mit 600 kW installierter Leistung knapp 600 MWh pro Jahr produzieren. Damit produziert diese Anlage also an acht von neun Tagen keinen Strom. Darüber hinaus ist die Produktion dieser neuen erneuerbaren Energieerzeuger nicht steuerbar: Tendenziell glättet die Einspeisung von Solarstrom zwar die Nachfragespitzen zur Mittagszeit. Jedoch ist nicht sicher, ob diese Einspeisung dann wirklich kommt. Wind- und Sonnenenergie werden möglicherweise zu Zeiten ins Netz gespeist, da niemand Strom braucht; und sie sind allenfalls dann nicht verfügbar, wenn eigentlich Nachfrage bestünde.

Mit diesen Ausführungen will ich nun nicht sagen, dass diese Erzeugungsanlagen an sich oder der Produktionsausbau aus diesen Anlagen sinnlos wären. Auch rentieren die Anlagen, die Subventionen eingerechnet, für die Investoren bestens. Nichtsdestotrotz ist dem Gesetzgeber aufgetragen, bei der Gestaltung der Energiepolitik eine gesamtgesellschaftliche Sicht einzunehmen, und nicht den Angehörigen einer sich selbst als «Cleantech» feiernden Industrie üppige Renten zu Lasten der Allgemeinheit zu ermöglichen.

Mit anderen Worten können wir durchaus einen Teil der Elektrizitätsversorgung mit neuen Erneuerbaren bestreiten. Wenn Wind und Sonne aber einen grösseren Anteil der 57,5 Mrd. kWh Stromverbrauch in der Schweiz abdecken sollen (Elektrizitätsstatistik 2014), dann muss der Gesetzgeber eine robuste Vorstellung davon haben, wie die Stromnachfrage bei flauem Wind und verdeckter Sonne sichergestellt wird. Ohne einen massiven Ausbau der Grenzkuppelstellen und ohne kosteneffiziente Speichermöglichkeiten wird dies nicht möglich sein. Während der grenzüberschreitende Energiehandel jedoch aus politischen Gründen mit Unsicherheiten behaftet ist (Stromabkommen), stehen kostengünstige Speicher heute allein schon technisch nicht zur Verfügung. Zwar wurde in der Beilage «Energiezukunft» der NZZ am Sonntag vom 4. Oktober 2015 eine Batterie der EWZ bejubelt, die mit 719 kWh die grösste Kapazität in der Schweiz aufweist. Der Speicher reicht jedoch gerade aus, um die Schweiz während knapp 0,4 Sekunden mit Strom zu versorgen. Um die Schweiz nur einen ganzen Tag lang mit Batterien versorgen zu können, müssten die Versorger gut 219’000 weitere solche Batterien bauen, zu einem Gesamtpreis von etwas über 55 Mrd. Franken (die fast konkurrenzlos günstige Tesla Batterie als Referenzpreis genommen).

Der Staat darf sich nicht die Risikoneigung privater Kapitalgeber aneignen

Die Schweiz ist keine ökonomische Spielwiese. Hier wird keine ideale Elektrizitätsversorgung am grünen Tisch gebaut, sondern eine realexistierende Branche verändert. Eine Branche, die in der Vergangenheit in der Lage war, jederzeit eine gewünschte Menge an Elektrizität zu angemessenen Preisen zu liefern. Die enorme Bedeutung einer sicheren Elektrizitätsversorgung für die Schweiz zeigt sich exemplarisch darin, dass das Bundesamt für Bevölkerungsschutz in einem Bericht vom Mai 2015 eine mehrwöchige Strommangellage als höchstes Risiko für die Schweiz bezeichnet hat. Der Gesetzgeber trägt bei Eingriffen in die Stromwirtschaft entsprechend eine grosse Verantwortung. Ganz anders als bei privatem Risikokapital darf sich der Gesetzgeber nur beschränkt ins Ungewisse vortasten; die allen Einwohnern der Schweiz auferlegten Risiken müssen überschaubar sein, was Experimente im grossen Stil verbietet. Der Ständerat mag in dieser Herbstsession die Enthusiasten einer «neuen» Energiewirtschaft arg enttäuscht haben. Betonköpfig ist er deswegen aber nicht – nur angemessen vorsichtig. Denn wer sich den Fakten nicht stellt, wird von der Realität bald eingeholt.

St.Gallen, 4. Dezember 2015

Posted in Energie, Infrastrukturrecht, Wirtschaftsverfassung, Regulierung and tagged with Subventionen, Einspeisevergütung, Erneuerbare Energien, Energierecht, Grundversorgung, Risiko, Sicherheit.

December 4, 2015 by Peter Hettich.
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Grafik: Corinne Bromundt; Copyright: HSG Focus

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Zerstörung ohne Schöpfung

Grafik: Corinne Bromundt; Copyright: HSG Focus

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Der Prozess der fortwährenden Erneuerung der Wirtschaft ist in der alten Welt ins Stocken geraten. Anbei meine Kolumne im Unimagazin HSG Focus von dieser Woche, ein Plädoyer für eine Wiederherstellung unternehmerischer Freiräume.

Schon Mitte des vergangenen Jahrhunderts beschrieb Joseph Schumpeter den Wettbewerb als «Prozess der schöpferischen Zerstörung». Innovationen seien der Auslöser eines fortwährenden Mutationsprozesses in der Wirtschaft, der alte Strukturen zerstört und unaufhörlich neue schafft. Schumpeter sah diesen Wandlungsprozess nicht als schädlich an, sondern vielmehr als Herzstück – als das für eine Marktwirtschaft «wesentliche Faktum». Im Abstrakten ist dies für jeden einleuchtend: Das Rad ersetzte Träger und Sänften, der Traktor ermöglichte das Pflügen ohne Pferd, das Smartphone trat an die Stelle des Natel C – und das ist gut so, werden wir wohl alle sagen. Schöpferische Zerstörung führt aber auch dazu, dass sich nur die Hälfte der Unternehmen im aktuellen SMI schon bei dessen Lancierung am 30. Juni 1988 im Index fand. Im Dow Jones Industrial Average steht seit dem 26. Mai 1896 einzig die General Electric Company als unverrückbarer Fels in der Brandung.

Verständliche Existenzängste

Für den einzelnen können solche Anpassungsprozesse schmerzhaft sein. In meiner Heimatgemeinde, dem aargauischen Koblenz, übten die Fährleute jahrhundertelang das Monopol für den Warentransport zur nahen Zurzacher Messe aus. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn und der Auflösung der Messe verloren die Schiffer jedoch ihre Existenzgrundlage; die «Stüdlergenossenschaft» löste sich 1858 auf. Ich selbst kann mich auch gut an die Existenzängste erinnern, die meinen Vater – und manch andere – während der Krisenjahre der reformunfähigen Brown, Boveri & Cie. plagten. Die vielen, nervenaufreibenden Entlassungswellen in dieser Zeit gingen für ihn glücklicherweise ohne Folgen vorüber. Heute säumen dennoch keine arbeitslosen Ingenieure die Strassen im aargauischen Baden. Nicht unvermutet gibt es auch keine arbeitslosen Fährleute in Koblenz. Dabei hat die – in vielen Dingen eher kleingeistige – Dorfgemeinschaft ausser Albert Stoll, der 1872 den Bürostuhlhersteller Stoll Giroflex AG gegründet hat, keine grossen Unternehmer hervor gebracht.

Keine Aufbruchstimmung

Seit 2007 – man mag es nicht mehr hören – steht Europa nun in einer Krise, die mit dem Platzen einer Immobilienblase in den USA begann und sich über eine Liquiditätskrise des Bankensystems zu einer europäischen Schuldenkrise gemausert hat. Die angerichtete Zerstörung ist unermesslich; jedoch würde man erwarten, dass dadurch auch Raum für neue Unternehmen entsteht. Während die Welt die Krise hinter sich lässt, ist jedoch in Europa von Aufbruchsstimmung nichts zu spüren. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, Europa würde einen Berg von Problemen mit der Absicht vor sich herschieben, diese hoffentlich bald einmal einer neuen Generation (von Politikern?) aufbürden zu können. Bestrebt darin, das Bestehende vor Zerstörung zu schützen, verschliesst sich Europa möglichen Innovationen und den damit einhergehenden Chancen – und dennoch kann es den Zerfall nicht aufhalten. Der Prozess der fortwährenden Erneuerung der Wirtschaft ist in der alten Welt ins Stocken geraten: Zerstörung ohne Schöpfung. Niemanden darf das überraschen.

Verklagen statt konkurrieren

Unmittelbar nach der Unternehmensgründung legen wir unseren Jungunternehmern einen Mühlstein aus arbeits-, steuer-, lebensmittel-, umwelt-, bau-, energie- und immaterialgüterrechtlichen Vorschriften um den Hals – und wundern uns, dass da niemand durchstarten oder gar abheben kann. Der deutsche Politiker Christian Lindner ätzte jüngst, dass Apple-Gründer Steve Jobs in Deutschland schon an der Baunutzungsordnung seiner Garage gescheitert wäre; das Lachen bleibt uns Schweizern im Halse stecken, wenn wir merken, dass dies hier rechtlich genauso wäre. Das Regulierungsdickicht führt dazu, dass potenziell disruptive Innovatoren von eingesessenen Konkurrenten eher verklagt werden, als dass mit ihnen der Wettbewerb aufgenommen würde. Unternehmen mit grossen Investoren im Rücken wie Uber können es sich leisten, schon unmittelbar nach Markteintritt einen juristischen Abnützungskampf zu führen – das normale Start-up hingegen wird die Waffen strecken. Politisch gut vernetzte Unternehmen dürfen allenfalls auf ein Plätzchen im Innovationspark hoffen, solange sie sich gesellschaftlich verantwortungsvoll verhalten und darüber auch regelmässig Bericht ablegen.

«Wachstumspakte»

Die Erneuerungsunfähigkeit des sklerotischen Europa hat sich tief in unseren Köpfen eingebrannt: Wer junge Entrepreneure in Shanghai, San Francisco und Mumbai fragt, wo das nächste «Google» gegründet werde, wird ein stolzes «hier» als Antwort erhalten. Unternehmer in Europa werden das nächste Google aber in Shanghai, San Francisco oder eben Mumbai entstehen sehen. Innovationen werden hierzulande lieber demokratisch ausdiskutiert statt umgesetzt. Schöpferische Akte sind bewilligungspflichtig. Thomas Piketty hat nach seiner beissenden Kapitalismuskritik gut daran getan, den Orden der «Légion d’Honneur» mit dem Ratschlag an die französische Regierung zurückzuweisen, sie solle sich doch bitte auf die Wiederbelebung des Wachstums konzentrieren. Statt einer nachhaltigen Wachstumspolitik kündigt die europäische Politik jedoch lieber Investitions- und Wachstumspakte an, die nur aufgrund ihrer stetig wachsenden finanziellen Dimension noch medienwirksam verkündet werden können. Wahre Entrepreneure werden dieses Geld – soweit es denn zusammengekratzt werden kann – nicht in Anspruch nehmen; es wird ihnen zutiefst zuwider sein, den notariell beglaubigten Finanzierungsantrag in dreifacher Ausfertigung zu verfassen.

Gutschweizerischer Pragmatismus

Die fortwährende Krise in Europa sollte die Schweizer nicht zu Müssiggang verleiten, sondern sie vielmehr dazu anhalten, mit Blick auf die dynamischen Staaten von ihren Volksvertretern stetige Verbesserungen der Rahmenbedingungen einzufordern. So weist auch der Schweizer Bürokratiemonitor eine immerwährend steigende administrative Belastung auf. Der Reformstau, vor allem im Bereich der Gesundheitspolitik und Altersvorsorge, ist erheblich. Derweil erscheint die Schweiz aufgrund des starken Frankens und der andauernden Niedrigzinspolitik als angeschlagen. Nun bemüht sich die Verwaltung zwar punktuell um eine «Regulierung light» im Bereich der KMU. Auch sind der elektronische Geschäftsverkehr, one-stop-shop und customer focus für die Verwaltung keine fremden Konzepte mehr. Nötig wäre jedoch darüber hinaus die Schaffung weitreichender, über verschiedenste Regulierungsbereiche anwendbarer Ausnahmebereiche für Kleinunternehmen. Regulierung sollte sich bei «KU» also auf die notwendigsten Kernbestimmungen beschränken, in der Umsetzung begleitet von einer guten Portion des bewährten, gutschweizerischen Pragmatismus. Wer auf diese Weise unternehmerische Freiräume wiederherstellt, darf auch erleben, dass das übernächste Google in der Schweiz – in irgendeiner Garage im Toggenburg – geschaffen wird.

St.Gallen, 11. September 2015

 

Der Beitrag von dieser Woche ist am Mittwoch im Unimagazin HSG Focus erschienen. Die September-Ausgabe des Magazins gehört dem Thema "Wahlen". Nicht zuletzt aus Anlass des Eidgenössischen Urnengangs in diesem Herbst natürlich.

Posted in Innovation, Regulierung, Wirtschaftsverfassung, Wettbewerb and tagged with Eurokrise, Freiheit, Gesetzgebung, Innovation.

September 11, 2015 by Peter Hettich.
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